Hygiene-News Oktober 2016
1. Hygienemängel – Beweislastumkehr zugunsten des Patienten
Der Bundesgerichtshof (BGH) erklärt die Krankenhaushygiene nur teilweise zu den „voll beherrschbaren Risiken“.
Ein einem aktuellen Fall hatte ein Patient in Niedersachsen geklagt, der aufgrund von wiederkehrenden Wundinfektionen nach einer OP am Ellenbogen mehrfach erfolglos nachoperiert werden musste. Er unterstellt dem behandelnden Krankenhaus Missstände im Hygienemanagement, da er gemeinsam mit einem Patienten in einem Zimmer gelegen habe, der an einer Infektion des Kniegelenks litt. Dies sei, laut einem Sachverständigen des Gerichts, zwar RKI-konform, jedoch bedarf es bei der gemeinsamen Unterbringung von Patienten mit septischen und aseptischen Wundverhältnissen der Einhaltung erhöhter Hygienestandards.
Der Patient sah die Ursache seiner wiederkehrenden Wundinfektionen in einer Erregertransmission aufgrund von Nicht-Einhalten eben dieser erhöhten Standards. Aus diesem Grund entschied sich der BGH zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten. Wäre die potenzielle Infektionsquelle unklar gewesen, läge die Beweislast weiterhin bei dem Patienten.
Ein Urteil wurde noch nicht gefällt. Die Klinik muss nun vor dem OLG Celle beweisen, dass sie die vom RKI geforderten Hygienestandards eingehalten hat.
Weiterführender Link:
http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/recht/article/920944/hygiene-hinweise-patienten-ernst-nehmen.html?sh=3&h=1161843079
2. Daten-Update: jährlich 15.000 Tote durch nosokomiale Infektionen
Nach den Ergebnissen einer Studie des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) sterben in Europa jährlich 91.000 Patienten an nosokomialen Infektionen (NI). Die Gesamtzahl aller NI wird jährlich auf 2,6 Millionen beziffert.
Gegenstand der Studie zur Erhebung der Prävalenz nosokomialer Infektionen in Europa waren die sechs häufigsten NI. Die erforderlichen Daten wurden 2011/2012 in 30 europäischen Ländern erhoben. Auch Deutschland beteiligte sich und lieferte die Daten von 274.000 Patienten aus 1.150 Akuthäusern. Laut Dr. Tim Eckmann vom RKI sei durch die Anwendung einer neuen Art der Berechnung, welche Grunderkrankungen berücksichtige, sichergestellt, dass die aktuellen Ergebnisse die tatsächliche Situation der nosokomialen Infektionen darstellen.
Laut Prof. Petra Gastmeier, Direktorin des Nationalen Referenzzentrums zur Überwachung von Krankenhausinfektionen (NRZ), erleiden von 19,2 Millionen Patienten in Deutschland rund 500.000 Patienten eine nosokomiale Infektion, 15.000 mit letalem Ausgang. Nosokomiale Infektionen, die durch MRE verursacht wurden, sind in der Gesamtzahl bereits enthalten. Todesfälle durch MRE werden mit geschätzten 1.000 bis 4.000 Fällen jährlich angegeben. Hier sieht die Expertin ein großes Präventionspotential durch ein implementiertes und etabliertes Antibiotikamanagement.
Derzeit ist ein Rückgang der Infektionen nicht abzusehen. Laut Georg Baum von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zeigen die Ergebnisse der Studie, dass sich die Kliniken der Infektionsproblematik bewusst sind. Die Mehrzahl aller nosokomialen Infektionen sei endogenen Ursprungs. Trotzdem sollten stetig weitere Maßnahmen zur Prävention der nosokomialen Infektionen exogener Ursache unternommen werden.
Weiterführende Links:
http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/article/921853/klinikkeime-15000-tote-deutschland-pro-jahr.html?sh=1&h=1161843079
http://www.handelsblatt.com/technik/medizin/millionen-klinik-infektionen-krank-durch-das-krankenhaus/14708738.html
http://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&typ=1&nid=70954&s=hygiene
Auch wenn nur ein Drittel aller nosokomialer Infektionen als vermeidbar gilt, bedeutet dies, dass jährlich in Deutschland 167.000 Menschen an einer Infektion erkranken oder gar versterben, die durch ein professionell etabliertes und in der Praxis gelebtes Hygienemanagement verhindert werden können.
3. Jedes dritte Kind nicht ausreichend gegen Masern geimpft
Eine Erhebung des Versorgungsatlas Deutschlandweit zeigte jüngst, dass in Deutschland nur 63 Prozent aller Kleinkinder vor Vollendung des zweiten Lebensjahres vollständig gegen Masern geimpft sind.
Nicht nur große Lücken, sondern auch ein deutlicher Unterschied in den einzelnen Regionen zeigt sich: die Impfquote in Niedersachsen liegt bei 78%, in Bayern erhalten nur 36 bis 42% die von der STIKO empfohlenen zwei Schutzimpfungen.
Dr. Thomas Fischbach, Präsident vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) begrüßt die im Präventionsgesetz verankerte, verpflichtende Impfberatung für Eltern. Diese soll die Voraussetzung für die Betreuung in einem Kindergarten sein. Der BVKJ hält dies jedoch nicht für ausreichend, um dem Eliminationsziel von Masern und Röteln gerecht zu werden. Er fordert eine Impfpflicht.
Weiterführender Link:
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71135/Masern-Jedes-dritte-Kind-nicht-ausreichend-geimpft
4. Neue Studie zur MRE-Verbreitung durch Tourismus
Eine aktuelle Studie aus Rotterdam bestätigt, dass internationale Reisen, vor allem nach Südostasien, Zentralasien und Nordafrika erheblich zur Entstehung und Verbreitung multiresistenter Erreger beitragen.
In einer prospektiven Studie mit 2.001 Probanden zwischen November 2012 und 2013 konnten die Studienautoren rund um Dr. Maris S. Arcilla vom Erasmus University Medical Centre in Rotterdam Daten zur Häufigkeit, Persistenz nach Reiseende und den Risikofaktoren erheben. Zusätzlich wurden noch 215 Haushaltsangehörige in die Untersuchungen mit eingebunden, die im Studienzeitraum keinen eigenen Auslandsaufenthalt hatten.
Die Ergebnisse zeigen, dass 34 Prozent, der zuvor ESBL-freien Reisenden nach ihrer Rückkehr besiedelt waren. Bei 11 Prozent waren die Erreger sogar noch ein Jahr nach Reiseende nachweisbar. In 12 Prozent der Fälle wurden die Keime nachträglich auf einen Haushaltsangehörigen übertragen. Laut den Studienautoren haben Personen, die bereits an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung leiden, während der Reise Antibiotika einnehmen oder Reisedurchfall bekommen, ein erhöhtes Risiko, sich mit MRE zu infizieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erreger von Reiserückkehrern an ein Haushaltsmitglied übertragen werden, liegt bei rund zwölf Prozent.
Prof. T. Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM Centrums für Reisemedizin in Düsseldorf fordert eine erhöhte Aufmerksamkeit bei Patienten und Ärzten. Er fordert Reiserückkehrer auf, bei einem notwendigen Kontakt zum Gesundheitswesen die Ärzte auf den Auslandsaufenthalt hinzuweisen, um so eine Weiterverbreitung eingeschleppter MRE zu verhindern.
Weiterführende Links:
http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/article/922272/aktuelle-studie-tourismus-traegt-multiresistente-erreger-alle-welt.html?sh=1&h=1161843079
http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/magen_darm/article/923004/ungewolltes-urlaubssouvenir-reisende-noch-lange-keimen-belastet.html?sh=1&h=1504573168
Die Aufforderung von Prof. Jelinek zielt auch auf die Einhaltung der KRINKO-Empfehlung „Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen“ und die darin geforderten Screenings bei 4MRGN-Risikopatienten hin. Die KRINKO empfiehlt darüber hinaus die entsprechenden Patienten bis Vorliegen der mikrobiologischen Untersuchungsergebnisse räumlich zu isolieren.
5. IfSG ändert §23 im Hinblick auf Impfprävention
Das Präventionsgesetz sieht eine Eignungsuntersuchung der Beschäftigten im Hinblick auf den Impfschutz nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) vor.
Auch eine hohe Qualität in der gelebten Basishygiene bietet keinen ausreichenden Schutz vor Infektionen, die durch Tröpfchen übertragen werden. Vor allem impfpräventable Erkrankungen zeigen nicht immer eine eindeutige Klinik, bzw. die Infizierten sind bereits vor dem Ausbruch charakteristischer Krankheitssymptome kontagiös.
Mit §23a IfSG erweitert der Gesetzgeber die Handlungsspielräume der Arbeitgeber hinsichtlich der Offenlegung mitarbeiterbezogener Daten, sofern diese zur Verhütung der Weiterverbreitung impräventabler Erkrankungen erforderlich sind. Demnach darf der Arbeitgeber im Sinne des Patientenschutzes Daten der Beschäftigten über deren Impfstatus und Serostatus erheben, verarbeiten oder um über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder über die Art und Weise einer Beschäftigung zu entscheiden. Die Freiwilligkeit des Arbeitnehmers, sowie Daten, die keine Relevanz hinsichtlich des Impf- und Immunstatus haben, bleiben hiervon unberührt.
Da hier das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dem Patientenschutz untergeordnet wird, ist §23a IfSG keinesfalls isoliert zu betrachten, sondern bedarf immer einer stringenten tatsächlichen, situativen Gefährdungsanalyse in Kombination mit anderen Bestimmungen, v.a. §23 IfSG.
Derzeit gibt es noch keine klaren Empfehlungen zur:
- Kostenübernahme der Impfkosten und Serokontrollen, bei Neueinstellungen
- Einbindung der Immunschutzerhebung und Nachholimpfung in den Betriebsärztlichen Dienst
- Handlungsempfehlungen für den Arbeitgeber bei unzureichendem Immun- oder Impfschutz und gefährdenden Tätigkeiten, wie z.B. Freistellung unter Fortlaufen der Bezüge, Versetzung in einen anderen Tätigkeitsbereich oder Änderungskündigung
- Den Umgang mit infizierten Mitarbeitern (Carrier) bei denen eine Transmission auf Dritte nicht vollständig ausgeschlossen werden kann.
Weiterführender Link:
http://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&typ=16&aid=183054&s=hygiene
6. Wussten Sie schon, dass …
… das Übertragungsrisiko von Noroviren und anderen Krankheitserregern in öffentlichen Verkehrsmitteln genauso hoch ist, wie an anderen öffentlichen Plätzen?
Pathogene Keime oder gar infektiöse Mitfahrer in Bussen und Bahnen führen beim gesunden Menschen nicht häufiger zu Infektionen als der Kontakt mit diesen an anderen öffentlichen Plätzen.
Korrektes Händewaschen nach der Fahrt unterbricht die Infektionskette und verhindert somit in den meisten Fällen die eigene Infektion.
Weiterführender Link:
http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.keime-in-oeffentlichen-verkehrsmitteln-wenn-das-norovirus-mitfaehrt.e77c9733-096a-4109-a836-14c624cd479d.html
Bitte beachten Sie, dass diese Informationen eine individuelle Beratung nicht ersetzen können!
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